Um neue Ideen zu finden, machst du einen Workshop. Du hast die richtigen Leute versammelt, den Ablauf bis ins Detail geplant, Flipcharts und Pinnwände liebevoll vorbereitet.
Das Einzige, was jetzt noch schief gehen kann: Deine Teilnehmer*innen haben einfach keine wirklich neuen Ideen. Manchmal kommt irgendwie nichts richtig kreatives heraus. So gebt ihr euch am Ende eines arbeitsreichen Tages mit minimalen Verbesserungen zufrieden. Jeder lobt den perfekt organisierten Workshop und trotzdem weißt du, dass mehr drin war.
Eine Recherche im Internet zeigt, dass du nicht die Einzige bist, die nach Workshopmethoden für mehr Kreativität sucht. Klassisches Brainstorming, Walt Disney-Methode, Design Sprint oder Human-Centered Design – das Netz ist voll von Vorschlägen, was du noch alles probieren könntest. Auch deine Teilnehmer*innen wünschen sich Abwechslung. Sie wollen mit immer neuen und angesagten Tricks und Spielereien stimuliert und aus der Reserve gelockt werden.
Von vielen der neuen Methoden kann man sich etwas abschauen. Meine Erfahrung zeigt jedoch, dass das Erzeugen von Kreativität im Workshop nicht vom Neuheitsgrad der Kreativitätstechnik abhängt. Viel mehr kannst du mit einem soliden Verständnis der Situation und dem gezielten Steuern erreichen.
In dieser Anleitung zeige ich dir, wie du mit wenigen zielgerichteten Eingriffen Kreativität im Workshop erzeugen kannst.
Kreativität ist eine Fähigkeit des Menschen. Kurz formuliert ist sie die Kraft und das Vermögen, etwas neues mit Nutzen zu erschaffen. Das bedeutet einerseits, dass Kreativität an sich nur eine der Voraussetzungen für
gute Ideen,
Problemlösungen,
neue Produkte,
Innovationen oder
erstrebenswerte Visionen
...
ist. Zu den anderen Voraussetzungen kommen wir später.
Auf der anderen Seite heißt das auch, dass jeder Mensch diese Kreativität hat. Kreativität ist ziemlich breit verteilt in der Bevölkerung (sogenannte "alltägliche Kreativität"). Es gibt nur sehr wenige Ausreißer nach oben (außergewöhnliche Kreativität wie bei Picasso) oder nach unten (z.B. bei sehr niedrigem IQ oder psychosomatischen Krankheiten). Die Ausrede deiner Teilnehmer*innen „Ich bin doch nun mal einfach nicht kreativ“ lässt du deshalb ab heute nicht mehr gelten!
Wie für anderen Fähigkeiten, braucht ein Mensch auch für Kreativität Bedingungen - oder Umstände - um sie tatsächlich zu entfalten. Wenn Teammitglieder offen und interessiert sind und regelmäßig Freude daran haben, aus der Komfortzone herauszugehen, trägt das dazu bei, dass sie kreativ sind. Dagegen sind Perfektionismus oder Angst vor dem Versagen die schlimmsten Kreativitäts-Killer.
Teilnehmende bringen Interesse, Freude aber auch Angst bewusst oder unbewusst mit in den Workshop. Solche Rahmenbedingungen liegen also in der Person selbst.
Deshalb solltest du dich als Moderator*in vor jedem Workshop fragen: Wie kann ich dafür sorgen, dass sich die Teilnehmer*innen wohl und sicher fühlen? Plane ausreichend Zeit ein, zunächst gerade diejenigen an ein Brainstorming heranzuführen, für die Kreativität nicht das Tagesgeschäft ist. Das sind oft die besten Ideengeber*innen!
Aber auch äußere Umstände fördern oder verhindern die Kreativität. Das sind im Wesentlichen:
Impulse
Zeit
Raum
Ressourcen
Neben der eigentlichen Problembeschreibung (dazu mehr bei „Ideenfindungsmethoden“) stimulieren oder hemmen noch eine Vielzahl von Reizen die Kreativität einer Teilnehmer*in. Der kreative Prozess, der in einer Person abläuft, wird überhaupt erst durch etwas ausgelöst, das sie interessiert, begeistert, herausfordert – oder auch ärgert.
Neben dieser intellektuellen Anregung sind auch Spaß und der Austausch unter Kollegen motivierend, so lange er positiv ist. Kritik dagegen verstärkt die oben erwähnten negativen inneren Faktoren (Angst vor dem Versagen und Perfektionismus) und ist deswegen in der kreativen Phase eines Workshops absolutes Tabu.
Es liegt nahe, dass sich Kreativität besser entfalten kann, wenn sie ausreichend Zeit bekommt. Insbesondere komplexe Herausforderungen erfordern Zeit, um verstanden und gelöst zu werden. Auf der anderen Seite haben wir es alle schon oft erlebt, dass Zeitdruck ein sehr wirkungsvolles Mittel ist, um den Fokus der Gruppe auf das Wesentliche zu lenken.
Hier ist also eine gute Balance zwischen Freizügigkeit und Zeitdruck der Schlüssel zum Erfolg. Wichtig beim gezielten Einsatz von Zeitdruck ist, dass alle anderen positiven Faktoren stark ausgeprägt sind. So kann ein gut eingespieltes Team in positiver Atmosphäre und mit reichlichen Ressourcen unter Zeitdruck enorme Kreativleistungen erbringen.
Wenn du dir von Teilnehmenden wünschst, dass sie mit Freude ihre Komfortzone verlassen, kannst du ihnen dabei helfen. Am einfachsten holst du sie aus ihrer gewohnten Umgebung heraus und bietest eine neue, angenehme Alternative. Dabei beschränkt sich das Angenehme nicht allein auf das naheliegende „Wohlfühlen“. Der Raum sollte auch inspirierend sein, viel Platz bieten, kurz: das kreative Arbeiten leicht machen.
Hier findest du mehr Tipps für die Vorbereitung des Workshopraums.
Nur wenige Ideen entstehen in einem einzigen Gedankengang und können in wenigen Worten direkt auf eine Moderationskarte geschrieben werden. Um an all die anderen Ideen heranzukommen, musst du den Kreativen Möglichkeiten geben,
zu probieren,
eigene Gedanken zu reflektieren,
zu sammeln und
zu erinnern.
Versuche dabei, möglichst viele Ausdrucksweisen zuzulassen: sprechen, zeichnen, schreiben, es tun, basteln, ...
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Nun weißt du, dass Kreativität in jeder deiner Teilnehmer*innen steckt. Du weißt, dass Kreativität die richtigen Rahmenbedingungen braucht, um sich zu entfalten. Und du möchtest nicht wahllos Methoden auf Menschen loslassen, nur weil sie gerade angesagt sind.
Im nächsten Schritt erkläre ich, auf welche Zeichen du als Moderator*in achten solltest und wie du steuernd eingreifen kannst.
Du kannst schon vor dem Innovationsworkshop dafür sorgen, dass die Chancen für Kreativität hoch sind! Versuche, soviel wie möglich über die Teilnehmer und Teilnehmerinnen im Vorfeld herauszubekommen.
Welche Erfahrungen haben sie bisher mit Kreativität und Innovation gemacht?
Wie ist das Verhältnis untereinander?
Wie ist die Kultur in der Arbeitsumgebung, was ist der typische Arbeitsinhalt?
Das sind zwar Dinge, die du kurzfristig nicht mehr ändern kannst. Aber du kannst damit umgehen: Je weniger Erfahrungen mit Kreativität, je gefestigter die Teamstruktur, je mehr das tägliche Arbeiten auf Effizienz und Sicherheit getrimmt ist,
desto mehr solltest du für Durchmischung sorgen und
desto mehr Zeit solltest du dir vor dem und zu Beginn des Innovationsworkshops nehmen, um Kreativität und die Gelingensbedingungen zu thematisieren.
Die Ziele der Durchmischung sind, die gewohnte Umgebung zu verlassen (dazu zählt auch die Gruppe) und die Angst vor dem Versagen zu nehmen (die wird durch ein Team, dass sich im Arbeitsalltag gegenseitig - im positiven Sinne - auf die Finger schaut, sehr stark gefördert).
Wie bekommst du das hin?
Du kannst entweder andere Betroffene und Beteiligte außerhalb des Teams hinzuziehen: Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter anderer Abteilungen, Akademikerinnen, vielleicht sogar Menschen, die sich in ihrer Freizeit mit dem Thema auseinandersetzen. Wenn das nicht möglich ist, versuche innerhalb des Teams möglichst verschiedene Persönlichkeiten und Untergruppen-Zugehörigkeiten einzuladen und gleichzeitig die Teilnehmerzahl zu minimieren.
Meine Erfahrung hat auch gezeigt, dass Menschen sich bereitwillig auf Kreativität einlassen, wenn man ihnen erklärt, wie Kreativität funktioniert und ihnen vor Augen führt, welche Denkgewohnheiten sie hemmen. Idealerweise sprichst du dieses Thema auf spielerische Weise und bereits vor dem Workshop an, z.B. in Form einer kleinen „Hausaufgabe“, die du mit der Einladung verschickst.
Achtung: Die Teilnehmer*innen sollen die dabei gewonnene Erkenntnis nicht als versteckte, peinliche Kritik an ihrem bisherigen Tun empfinden. Es gibt eine Menge Arbeitsgebiete, in denen es richtig und wichtig ist, eingetretene Pfade nicht zu verlassen und nach Perfektion zu streben.
Es ist einleuchtend, dass kritische Bemerkungen aus der Gruppe schädlich für die Kreativität sind. Um genau zu sein, jede Bewertung ist schädlich – auch positive. Als Moderator*in achtest du also darauf, dass die Teilnehmenden gar nicht erst in den „Bewertungsmodus“ verfallen.
Warum? Auch wenn eine Person öffentlich positives Feedback zur Idee einer anderen Person gibt, lenkt sie damit die Gedanken aller anderen auf die Kriterien, die zu dieser positiven Bewertung geführt haben. Damit sind die Köpfe aller mit dem Abwägen von Für und Wider beschäftigt, statt weitere, völlig unabhängige Ideen zu entwickeln.
Was kannst du als Moderator*in tun?
Der direkte und sichere Weg ist, Ideen still sammeln und aufschreiben zu lassen. Was einmal aufgeschrieben ist, lässt sich auch durch einen eventuell aufkommenden „Bewertungs-Modus“ nicht mehr verdrängen. Die aufgeschriebenen Ideen können dann entweder direkt im Plenum „verkündet“ oder in stiller Form im Team weiterbearbeitet werden.
Daneben hilft es, die Gruppengröße möglichst klein zu halten. So gibst du „Kritiker*innen“ rein mathematisch eine geringere Reichweite. Zudem sinkt die Hemmschwelle für die Einzelne, sich – auch gegen Kritik – zu äußern, wenn die Zahl der Zuhörenden geringer ist.
Und wenn im Workshop die Kritik dann trotzdem kommt?
Natürlich muss eine Moderator*in hier entschieden eingreifen! Die Kunst dabei ist, auch die „Kritiker*in“ wertschätzend zu behandeln. Zum einen hilft der Verweis auf die (spätere) Workshopphase, in der alle Ideen kritisch beleuchtet werden dürfen und sollen. Kommen die Bedenken hartnäckiger oder stört eine Vielredner*in, hilft die Visualisierung der kritischen Punkte („Parkplatz“), damit sie in der späteren Workshopphase nicht vergessen werden und die Urheber*innen „beruhigt“ sind.
Außerdem kannst du ganz bewusst erfragen, welche neuen Ideen sich aus dem kritischen Punkt ergeben könnten. Achtung: hier geht es nicht darum, den kritischen Punkt zu bewerten („Wie stark müsste ein Hitzeschild sein, um die Idee A vor Hitze zu schützen?“), sondern darum, ihn als Ausgangspunkt für eine neue Idee zu benutzen („Wer hat eine Idee B, wie wir Hitze (Temperatur) benutzen können, um das Problem zu lösen“). In keinem Fall darf der kritische Punkt jedoch in dieser Phase diskutiert werden!
Irgendwie ist sie unangenehm – die Situation nach deiner perfekt formulierten und spannend vorgetragenen Frage: Niemand sagt etwas. Man könnte die sprichwörtliche Stecknadel zu Boden fallen hören. Tausend Gedanken rasen durch deinen Kopf: Hast du als Moderator*in etwas falsch gemacht, es vielleicht nicht gut genug erklärt? Wissen die Leute nicht, was du von ihnen willst? Fällt ihnen womöglich gar nichts ein? Ist das Thema uninteressant?
An dieser Stelle kommt eine wichtige Fähigkeit der Moderator*in zum tragen: Stille aushalten können. Eine kluge Frage, PAKKO (persönlich, aktivierend, kurz, konkret, offen) formuliert, ein hörbares Fragezeichen und dann: Pause!
In 99 % der Fälle sind die Bedenken, die dir durch den Kopf gehen, unberechtigt. Es ist einfach ganz normal, dass Menschen Zeit zum Denken brauchen. Und Denken bedeutet
einerseits Verstehen – die Frage muss erst einmal „einsacken“ - und
andererseits Ausdenken – eine Antwort muss erst noch gefunden werden. Schließlich handelt es sich um ein bisher ungelöstes Problem!
Da du unbedingt möchtest, dass die Teilnehmenden im Innovationsworkshop denken, wirst du beginnen, diese Stille als ein positives Signal wahrzunehmen. Hüte dich auf jeden Fall davor, die Stille mit eigenen Beiträgen zu „füllen“. Zusätzliche Erklärungen, hilfreiche Beispiele, Einordnungen aber auch Ermutigungen sind an dieser Stelle kontraproduktiv.
Wenn du deinen Workshop gut vorbereitet hast, werden nur in seltenen Fällen mangelnde Motivation oder Verständnisschwierigkeiten die Ursache für Stille sein. Wenn du im Zweifel bist, helfen diese zwei Punkte:
Stelle die Ursache sicher fest und
behandle deine Teilnehmer*innen als erwachsene Menschen
Dafür wirst du in jedem Fall zunächst die Stille aushalten. Sprich dann den einen oder die andere Teilnehmerin direkt, zuversichtlich und freundlich an. Erst wenn du sicher bist, dass keine Antwort kommt, gehst du direkt auf die Situation ein. Teile deine Beobachtungen ("Hier ist eine Frage, dort ist ein Workshopziel, ihr seid kompetente Menschen, niemand hat eine Antwort.") mit den Teilnehmer*innen und bitte um Hilfe.
Auf keinen Fall solltest du ohne Rückmeldung von den Teilnehmer*innen eine „Lösung“ vorschlagen. Das Risiko ist sehr hoch, dass deine "Lösung" die falsche Ursache behandelt. Und vor allem würdest du so das Team aus der Verantwortung für den Erfolg des Workshops nehmen.
Mit eine klaren Analyse und gezieltem Steuern hast du nun die bestmögliche Kreativität in den Teilnehmenden geweckt. Nun ist es genauso wichtig, diese Kreativität mit Hilfe einer geschickt geplanten Ideenfindung („Ideation“) in die richtigen Bahnen zu lenken. Das hilft nicht nur dem eigentlichen Ziel des Workshops, sondern auch der nachhaltigen Motivation des Teams. Wie schön wäre es, wenn du dich bei zukünftigen Brainstormings vor begeisterten Menschen nicht retten könntest, statt krampfhaft nach Kollegen zu suchen, die eventuell noch mitmachen würden ...
Du möchtest deinen nächsten Innovations-Workshop selbst moderieren und dich dafür zunächst fit machen? Dann nutze das Moderationstraining, um dich zielgerichtet auf deine nächste Aufgabe vorzubereiten.
Mehr Tipps für deine Workshop-Moderation:
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